Felix Nguyen : Gras wachsen hören (l42)

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Beschreibung

Nguyen Gras wachsen hörenFelix Nguyen
Gras wachsen hören
Gedichte

Selbstverlag 2018, Vertrieb PPV
Heft mit 55 Seiten, DIN A5

Das Spannende an Lyrik ist, daß sie das Recht hat, Gedanken und Wörter neu und ungewohnt zu arrangieren und daß sie die Freiheit hat, die Regeln der Grammatik zu brechen. Manches, was Felix Nguyen in seinem ersten Gedichtband „Gras wachsen hören“ dichtet, überrascht durch unübliche Wortverwendungen, einen teilweise auf Hilfsverben verzichtenden Satzbau und die Interpunktion fehlt fast völlig, sodaß es dem Leser überlassen bleibt, Bezüge herzustellen. Es kann ganz gut sein, etwas zweimal zu lesen und genauer zu schauen, oder, wie Felix sagen würde, zu lauschen; so entsteht ein Dialog zwischen Text und Leser. (Wir finden es ja immer schön, wenn der lesende Mensch nicht Konsument ist, sondern auch ein bißchen was zu tun bekommt.)

Ein großer Teil der Natur-, Sinn- und Liebesgedichte entstand während einer längeren Reise durch die Mongolei und Vietnam, wo der Autor bei Viehnomaden und Bergbauern lebte und zen-buddhistische Klöster besuchte. Viele Gedichte spiegeln die Erlebnisse dieser Reise wieder: das naturnahe, malerische, von Düften, Farben, Formen und Handarbeit bestimmte kleinbäuerliche Leben jenseits hochtechnologischen Landwirtschaftsirrsinns, wo Erde und Himmel den Menschen nahe und Teil von ihnen sind. Seine Beschreibungen von Landschaften und Ereignissen sind schöpferische Beschwörungen. Vor allem dort, wo er auf erläuterndes Beiwerk verzichtet, gelingt es ihm, Bilder zu zeichnen, in denen man sich niederlassen möchte und Melodien zu erzeugen, die lange nachklingen.

Trotz aller Verträumtheit und Sinnlichkeit ist Felix Stil zu eigenwillig, um seine Lyrik gefällig werden zu lassen. Es taucht immer wieder eine Spannung zwischen Natürlichkeit, Kreativität und Kontrolle auf; manchmal bleibt der Leser mit dieser Anspannung allein, manchmal wird sie aufgelöst, indem der Autor etwa poetische Innigkeit und biologische Fachtermini mit leichter Hand zusammenführt.

MOTTO:
Kannst du Gras wachsen hören? / Wenn nicht, lausche./ Kannst du es, lausche weiter.

INHALT:
Freunde * Dank dem Anderen * Das Schaf und das Lamm * Schönheit ohne Tugend * Spätherbstnacht * Weltenschmerz * Sonnenaufgang * Selbstermahnung * Leitstern * Einkehr * Ankunft im Paradies * Wie Samen die Gefühle * Sinn allen Tuns * Wahrste Kunde * Hinter der Gegensätzlichkeiten Rand * Impulse sprießen * Antwortende Frage * Den ungeraden Weg gerade beschreiten * Windes Wehen * Oh, Steppe * Glashaus * Der Teich * Zu Gast * Brodelndes Blut * Hebamme * Der Bub Tore * Neue Ernte, alte Sichel * Der Wanderer I * Der Wanderer II * Schon liegt er hinter uns * Vor dem Tagestrieb * An der Zeit zu gehen * Der Kälte trotzen * Schreie deiner Einsamkeit * Klage und Preisung * LIEBESGEDICHTE (mit einem Vorwort des Autors: Auf den Spuren der Liebe): Deinen Grenzen  treu * Verborgene Stimme * Die züngelnd Erhaschende * Das letzte Blatt * Warten auf ein Lebenszeichen * Nimmer ohne einen lieben Freund * Treuherzige Hündin * Verbannung * Erde meiner Zuneigung * Ein Dank an die Mutterliebe * Verschmelzung * Einander gefundene Herzen *
Scherbenhaufen * Wiedersehen * Zeugen menschlicher Liebe * Zusammen eine Stichflamme * Rufe nicht meinen Namen * Weiße Wolke * Deine feinen Blätter * Meeresmuschel


AUSZÜGE:

SONNENAUFGANG

Flammend glühender Feuerball
Aufstieg wo Wolken sich wiegen
Begnadet
Die Dunkelheit zu besiegen
Heimwärts die Nacht ins Weltall

Konturen
Schlafender Wolken grau
Zu leuchtendem Weiß entzündet
Umrahmt von scharfer Klarheit
Im austretenden Blau

(…)

Zu neuem Werke kündet
Brütender Tag, noch lau
Von der Nacht verschlungen
Vom Morgenrot
Erstrahlt und besungen

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ANKUNFT IM PARADIES

Verloren geglaubtes Paradies
Meine Ankunft bei dir
Ist die Rückkehr in meine Heimat

Auf mit Steinen bestreuten Bergen
Deren Felsen wie behauen
Thront Schöpfungsureigenheit

Bergriesen bewachsen von Bäumen
Mit leuchtendem Grün
Windgestreichelt
Wolkenumwoben
Geädert mit summenden Bächen
Denen schweigsame Ufer lauschen

Sie erfrischen das Gesicht zur Wachheit
Verhelfen dem Herz zur Blüte
Lüfte, Düfte voll geklärter Reinheit
Im Reigen deiner Berge
Liegt die Belebung
Meiner Atmung begründet

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OH, STEPPE

Wenn kein Geräusch
Das Ohr beschleicht

Kein Dickichtwaldgestrüpp
Das Auge verheddert

Nicht leisester Windzug
Die Gräser zur Schwingung lädt

Die endlose Weite des Himmels und der Erde
Zum Horizont der Welt vermählt

Erstickt in ohrenbetäubender Stille
Das wispernde Lärmen in uns

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BRODELNDES BLUT

Es tobt
Das kochende Blut
Drängt allem entgegen zu schmettern

Wirft Steine mit Worten
Verwundet hier und da
Die Ohren ertauben
Ungelenk geworden zu horchen
Weil das eigene Grollen
Stürmisch donnert

Der Sturm muss erst vorüberziehen
Der Zank ausnüchtern
Ehe Reden durch Zuhören möglich wird

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NEUE ERNTE , ALTE SICHEL

Von der Bergspitze
Griff ich nach der Mondsichel
Schnitt zur goldnen Reife
Die Halme vom Frühling und Sommer
Mit dem Korn des Herbstanfangs

Meine Ahnungen aus Winterstille
Neigen zur Überständigkeit
Bestehen auf Schnitt und Drusch
Neue Saat will keimen aus alter Reife
In den Fußspuren tausender Generationen

Trag ich Bund für Bund
Die Gaben der Liebe zur Scholle
Meines Vaters, meiner Mutter
Unters Dach verbleibender Erinnerung

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EINANDER GEFUNDENE HERZEN

Zwei Herzen zweier Körper
Sich ein Herz gefasst
Ihr enges Bett zu verlassen
Zu einem großen Lauf vermischt
Die Ufer zu berauschen
Sie ins Schwanken zu bringen

Einander gefundene Herzen
Ihr schlagt den Puls des Ozeans
In den ihr mündet
Wogenreich lauter

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AUS: „SPÄTHERBSTNACHT“:

Den endenden Herbst
Verkünden die Bäume
Mit sachtem Blätterregen
Der mich anstößt
Schneeflocken zu träumen

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AUS: „DER WANDERER II“

Myriaden von Raupen
Haben ihre Eierschalen abgeworfen
Zu Schmetterlingen entpuppt
Zu Staub zerfallen
Aus den Larven sich erheben

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AUS: „VOR DEM TAGESTRIEB“

Auf den Grasspitzen hockt Schläfrigkeit
Alle schwarzen, braunen und weißen
Knäuelförmigen Schafe dämmern
Auf angewinkelten Vieren

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AUS: „AN DER ZEIT ZU GEHEN“

Ein Netz aus Schatten wirft der Dämmer
In die herbstliche Kühle
Jeglicher Tupfen
Ein gefangener Fisch

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AUS: „SCHREIE DEINER EINSAMKEIT“

Die Stille ist es

Wonach du dich stark
Sehnst und wovor du
Dich so sehr fürchtest
Dass sie sich wieder
Um dich versammelt

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AUS: „RUFE NICHT MEINEN NAMEN“

Der nächste Wind ist meiner
Trägt mich zu dem
Was keine Asche ist