Beschreibung
l46 Arno Holz: Phantasus – Gedichte, 60 Seiten A5, 5,-
Angefangen als hungernder Dichter in seiner Dachstube im Berliner Norden, umgeben von Schmutz und Armut, saß er die Nächte wach und schrieb Gedichte, um der Not zu entkommen. Im „5. Stockwerk hatte das Vorstadtelend sein Quartier„, heißt es in dem ersten Phantasus-Gedicht (siehe auf der letzten Umschlagseite) von 1885, das zum Vorentwurf für den künftigen Phantasus-Zyklus wurde. Obwohl seine Bücher wenig gekauft wurden und es ihm finanziell nie gut ging, hat Holz die soziale Ungleichheit nicht weiter thematisiert, nachdem er in Zusammenarbeit mit Johannes Schlaf eine neue Sprache gefunden hatte, den „Sekundenstil“, d.h. eine ungekünstelte spontane Ausdrucksweise. Der Dachstuben-Phantasus war zwar Holz’ Ausgangspunkt, aber fortan ging es ihm um eine radikale Veränderung der Kunst und Literatur. Seine Begeisterung für den Naturalismus, seine Beschäftigung mit Darwin und Haeckel, und die Anwendung von Haeckels biogenetischem Gesetz brachte ihn zu der Überzeugung, daß er das Grundgesetz der Kunst erkannt habe, „Myriaden Aeonen versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens„. Er wurde ein radikaler Naturalist, der die neuen Erkenntnisse auf die Kunst und insbesondere die Literatur anwenden wollte. Zusammen mit Schlaf verfaßte er 1891 „Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze“ und forderte darin einen „konsequenten Naturalismus“. Das war in einer Zeit, als die „exakten Naturwissenschaften“ und die scheinbare Berechenbarkeit der ganzen Welt im Zuge von Industrialisierung und technischem Fortschritt das Leben der Menschen prägte. Offenbar bestand eine historische Notwendigkeit, daß Kunst und Kultur auf diese Neuerungen in Wissenschaft, Technik, Industrialisierung und Verstädterung reagierten, wobei auch die Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit von Bedeutung war. Holz’ Interesse an diesen Dingen deutet sich schon in dem Gedicht von 18885 an: „Und wußte nichts von seiner Noth … ein Träumer, ein verlorner Sohn!“ Ein wichtiger Grund dürfte auch die Aufhebung des Sozialistengesetzes gewesen sein, wodurch allgemein der Eindruck entstand, dass das Thema erledigt sei, und andres in den Vordergrund treten konnte wie Symbolismus, Dekadenz, ua. Begleiterscheinungen des Fin de Siecle. Holz blieb allerdings bei dem „konsequenten Naturalismus“ und schrieb bis zu seinem Lebensende 1929 an den Phantasus-Gedichten. Unbeirrbar in seiner Auffassung vom Naturgesetz in Literatur und Sprache, beabsichtigte Holz „aus tausend Einzelorganismen nach und nach einen riesigen Gesamtorganismus zu bilden“, auch versuchte er in einer Art Zahlenmystik Gesetzmäßigkeiten in der Silbenzahl von Gedichtzeilen aufzudecken.